Aus dem Archiv

Die Nacht war heiß und schwül. Im RumbaRhythmus tänzelte leichtgeschürztes Jungvolk durch Säle und Flure der „Börse" am Viehhof. Nicht Alt und Kölsch vernebelte an diesem Abend die Sinne, sondern „Tropenfeuer", ,,Jamaica Sunrise", „Coconut Dream'" und ähnliche Knaller, meist auf Bacardi-Basis. Man gab sich karibisch in diesen drei Nächten im Sommer vergangenen Jahres. Zentnerweise Sand, ein Planschbecken und die bis zum Anschlag aufgedrehte Heizung sorgten für das rechte Strand-Feeling. Als Knüller der letzten Nacht hatte ein wirres „Börsen"-Hirn etwas ganz Verschrobenes ausgeheckt ... Motorräder, Rocker, Chrom und Leder - goodbye Hawaii.

Um Mitternacht flogen die Saaltüren auf, der Matsch spritzte hoch, Motoren brüllten, die „Living Dead" waren da. Während ein Großteil der TropenTraumTänzer noch rätselte, ob es sich um einen Irrtum (Autobahnauffahrt mit „Börsen"Eingang verwechselt) oder gar um einen Überfall handelte, hatten die überraschenden Besucher schon die Macht an sich gerissen, unüberhörbar - Stones, Stones und nochmal Stones statt Harry Belafonte und Third World.

Mein Verhältnis zu schweren Jungs in Leder mit diesen grauslichen Totenschädeln, Geisterreitern und Feuerrädern auf dem Kreuz ist ein sehr zwiespältiges. .,Easy Rider" führte mir die Erbärmlichkeit des Stadtverkehrgewühles und die Lächerlichkeit des täglichen Parkplatzkampfes vor Augen, ich wünschte meinen französischen Kleinstwagen auf den Schrott (wo er eh hingehört) und träume von endlosen Highways, dem atemlosen Rausch und natürlich einer wunderschönen blonden Prinzessin auf dem Rücksitz meiner Harley.

Irgendwo zwischen diesem „Easy Rider"-Mythos und dem Bild des Rock'n'Roll-Rüpel war demzufolge mein Verständnis vom Rocker angesiedelt.

Und mit diesen schwammigen Vorstellungen stand ich dann vor dem „President",  kurz: .,Paddy" oder auch ,,Präsi".  Ob ich denn ein paar Fotos machen dürfte. So zur Erinnerung, Abzüge würdet ihr natürlich auch kriegen,  ja und zu den Ralleys, Festen undsoweiter täte ich auch gern kommen ... ?! Der .,Präsi" beratschlagte mit dem ,,Vize-Präsi". dieser konsultierte seine Vertrauten, schließlich signalisierte mir ein Zeitlupen-Kopfnicken von Seiten der Clubleitung das Einverständnis.

Das Fest war als Taufe deklariert. Ein Living-Dead-Novize hatte sich in mehrmonatiger Probezeit des Totenschädel-Emblems als würdig erwiesen, und wurde nun, christlichem Brauchtum folgend, zu Wasser gelassen. Und zwar mit Schwung und immer wieder. Hoch spritzte das inzwischen reichlich trübe Wasser, der „karibische" Sandstrand war zur Pfütze verkommen, Matsch verklebte Haut und Haare (und empfindliche Fotolinsen), Bier schwappte in randvollen Pappbechern, Mick Jagger röhrte ohne Unterlaß. .

Das „in-den-Pool-werfen" hatte unterdessen – sämtliche ,.Livings" standen in ihren Wasserlachen - auch auf alle „harmlosen", sprich: unbeteiligten „Börsen"-Besucher übergegriffen. In dem kleinen Bassin stand, saß, lag man sich bald auf den Zehen. Echtes Hochsaison-Urlaubsgefühl stellte sich ein, wie am Strande von Las Palmas um die Mittagszeit. Auf den Hondas, Suzukis und Yamahas tronten derweil die „Bräute", beobachteten ihre Ritter beim Kampfe. und wachten darüber, daß kein Matsch-Spritzerchen die chromglänzende Herrlichkeit besudelte. Morgens um vier, als Planschbecken und Bierleitung endgültig trockengelegt waren, wankte man Arm in Arm hinaus in den erwachenden Sommertag. Und wenn die Living Dead daraufhin nicht an Lungenentzündung gestorben und ihre Maschinen verrostet sind, dann lärmen sie noch heute ...